Der Mann, der seiner Freundin betrunken Karaoke sang

Ich habe neulich schon von meinem Date erzählt, bei dem wir in einer Bar gelandet sind, in irgendeinem Keller. Auch habe ich dort von dem Typen erzählt, der seiner Freundin oder seinem Date, Lieder vorgesungen hat. Doch irgendwie lässt mich dieser Anblick und diese Erinnerung nicht los.

ZWISCHEN DEN ZEILEN

Vincent

3/12/20253 min lesen

Letzte Woche war ich auf einem Date mit einer Mexikanerin und wir haben unsere letzten zwei Stunden in einer Bar verbracht, die so gut wie leer war. Zwei Paare saßen in der Bar, als wir kamen und eins nur noch, als wir gingen.

Und da war dieser Mann, um die 30, Japaner. Er saß am Tresen hinter uns, da wir an einem Tisch saßen, doch er machte sich deutlich bemerkbar. Er sang Karaoke für seine Freundin oder sein Date. Ich schätze aber seine Freundin. Er war ziemlich betrunken und das merkte man durch das Hingucken und sein Schwanken, aber auch durch das Singen, was so gut wie keine Töne getroffen hat. Doch es war trotzdem unfassbar schön. Warum? Dieser Mann saß da, im Anzug, sein Jackett ausgezogen, wie ein typischer Salary-Man in Japan. Er saß auf einem Barhocker und hatte seinen kompletten Oberkörper nach links zu seiner Freundin gedreht. Er beugte sich vor und schaute ihr in ihr Gesicht, immer noch ein bisschen schwankend. Und dieser Mann sang sein Herz heraus. Egal, wie wenig Töne er traf, machte dies mit voller Hingabe. Er war so betrunken, doch gleichzeitig auch so romantisch, wie er seine ungeteilte Aufmerksamkeit der Frau widmete. Er sang und sang, und die Frau hörte zu und hörte zu. Ich habe ihr Gesicht an diesem Abend kein einziges Mal gesehen. Ich weiß noch, wie ich an dem Abend nicht wusste, ob es ihr unangenehm war, oder ob sie sich freute. Genoss sie auch den Moment? Ich konnte es aus ihrer Körpersprache nicht herauslesen. Sie schaute nämlich nach vorne, ihn nicht zurück an, zumindest nicht mit dem ganzen Kopf. Wer weiß, wie oft sie zu ihm guckte, mit den Augen. Aber sie lehnte sich auch nicht weg, kein bisschen. Die Nähe machte ihr wohl überhaupt nichts aus. Deswegen glaube ich auch, dass das nicht das erste Mal war, dass dieser Mann für die Frau gesungen hat. Ich stelle mir vor, dass sie gelacht hat, gegrinst und eine gute Zeit hatte, während sie ihren Cocktail getrunken hat.

Es hat irgendetwas mit mir gemacht, diesen Mann so offen sein Herz ausschütten zu sehen. Er hat ja nicht irgendein Lied gesungen, sondern ein japanisches Liebeslied noch dazu. Zwei Songs hat er gesungen und danach widmete ich die Aufmerksamkeit wieder meinem Date. Das nächste Mal, als ich nach hinten schaute, waren beide weg. Es war ein flüchtiger Moment und ich selbst war auch schon gut angetrunken, doch es hatte etwas so Skurriles, Absurdes an sich. Es war ein schneller Moment, der in meinem Kopf hängen geblieben ist. Aber warum?

War es das Glück, dass dieses Paar ausstrahlte? War es der unverschämte Mut dieses Japaners, der den ganzen Tag gearbeitet hat und nun endlich seine Belohnung für den Tag genoss? Er war so unbeschwert, vollkommen mit Glück. Ich glaube, das ist es, was ich entdeckt habe. Ein Mann, der komplett glücklich im Moment war. Und es war schön mitanzusehen. Nicht jeder traut sich, so zu singen. Aber das war nicht das Besondere. Nicht jeder ist so betrunken, aber auch das war nicht das Besondere. Das Besondere war wirklich einfach, wie glücklich er war. Ein glücklicher Mensch, vollkommen frei von seiner Umwelt. Ihn interessierte es gar nicht, dass wir anwesend waren. Ich denke, dass alle anderen Menschen in der Bar ihr Benehmen leicht angepasst haben oder zumindest einen kurzen Moment von „Oh, zwei Ausländer“ hatten, als wir eintraten. Man merkt das nämlich oft in Japan, dass die Japaner sich etwas anders verhalten, wenn sie mit einem Ausländer interagieren. So war der Barkeeper extra nett und das andere Paar, das noch bis zum Ende da war, wollte uns Ausländer beeindrucken. Doch nicht dieser Mann. Vielleicht lag es daran, dass er zu betrunken war, vielleicht aber eben einfach nur daran, dass er glücklich war. So unbeschwerte Menschen sieht man selten und na klar liegt das auch zum Teil am Alkohol. Aber eben nicht nur. Es war einer dieser Momente, die aus irgendeinem Grund nicht aus dem Kopf gehen, an die man sich noch ein bisschen erinnert, bevor der eigene Kopf davon loslässt. Ich liebe diese Momente. Das bringt mich zum Tagträumen. Aber wie dem auch sei. Es ist hier früher Morgen und drüben in Deutschland später Abend. Ich wünsche mit diesem Artikel jedem Leser ein kleines Stück Glück und einen dieser Momente, die öfter kommen als man denkt, wenn man dafür offen ist.

Bis dahin.