Mit welcher Effizienz sollte man leben? - Über das Leben, Entscheidungen und die Suche nach dem richtigen Weg

In diesem Artikel reflektiere ich meinen Weg, meinen Vergleich mit dem Erfolg eines Anwalts und die Erkenntnisse, die mir geholfen haben, meine eigenen Entscheidungen zu akzeptieren - auch wenn sie "unperfekt" erscheinen.

ZWISCHEN DEN ZEILEN

Vincent

2/11/20256 min lesen

Tunnel des Lebens
Tunnel des Lebens

Mit welcher Effizienz sollte man leben?

Ich habe heute jemanden kennengelernt, der nur 5 Jahre älter ist als ich, also 30. Er ist auch aus Deutschland, Anwalt und hat beruflich schon viel erreicht. Es war sehr spannend mit ihm zu reden und zu erfahren, wie er an die Dinge herangeht. Es wirkte auch so, als ob er sein Leben vollkommen im Griff hat.

Ich habe mein Leben, glaube ich, im Gegensatz zu ihm gar nicht im Griff. Ich bin nach Japan gekommen, weil ich lernen wollte, mein Leben in den Griff zu kriegen, aber dort angekommen merke ich, dass ich der gleiche Mensch wie vorher bin. Natürlich sollte man die Einstellung „Trust the process“ haben, also dem Weg dahin vertrauen. Aber auch wenn ich mich für meinen Gegenüber heute sehr gefreut habe, dass er sein Leben so gut handhabt, bin ich doch nicht daran vorbeigekommen, mich mit ihm zu vergleichen und das auf einer wertendenden Ebene. Um aber zu erklären, warum das ein Thema für mich ist:

Ich habe in den letzten Wochen stark daran gearbeitet, meine Perspektive auf Menschen und das Leben neu zu strukturieren, in der ich der Meinung sein möchte, dass man nie werten sollte. Denn was weiß ich, was du nicht übers Leben weißt, besser? Eigentlich gar nichts. Denn vielleicht kenne ich ein paar Fakten mehr zu dem Thema, oder bei einer ganzen Sparte mehr Dinge, doch ich finde nicht, dass man es sich rausnehmen sollte, dass man denkt, man weiß, was für Menschen das Richtige oder Bessere ist.

So werde ich niemals wissen, ob mein Kumpel in der Heimat das braucht, dass er immer noch zuhause wohnt, oder ob es besser wäre, dass er langsam auszieht. Natürlich habe ich meine Meinung dazu und wahrscheinlich ist es auch verständlich, dass ich mir für ihn wünschen würde, dass er diesen Schritt mal endlich wagt. Aber auf der anderen Seite kann es sehr gut sein, dass er dieses Gefühl, diese Emotionen, die er zuhause hat, braucht. Und ich bin kein Mensch, der seinen Blick über andere Häupter werfen möchte und sagt, was zu tun sei. Davon gibt es genug Menschen auf der Welt, und so war ich bis vor Kurzem auch.

Ich habe stets gedacht, ich weiß es besser, auch wenn ich gelernt habe, es nicht auszusprechen. Natürlich nicht bei allen Sachen, aber vor allem, wenn die Thematiken in Richtungen gingen, mit denen ich mich viel beschäftigt habe. Über Fakten kann man natürlich streiten, aber über Lebenswege sollte man das unterlassen. Und das versuche ich momentan auch sehr - auch wenn es schwierig ist, nicht wertend auf Menschen zu gucken.

Und so hatte ich eben auch heute einen wertenden Blick, den ich irgendwie nicht unterdrücken konnte. Doch bei diesem Beispiel in die andere Richtung. Ich habe mich gefühlt, als ob mein Leben im Vergleich zu dem Leben des Anwalts weniger Wert war, bzw. dass er eben sein Leben bisher besser bestritten hat. Er hatte mit 25 Jahren schon mehr beruflichen Erfolg gehabt, und ich habe mich auf einer Seite für ihn gefreut, weil ich gesehen habe, was möglich ist. Doch auf der anderen Seite war ich von mir selbst enttäuscht, weil dort jemand sitzt, der die eigenen finanziellen Träume bereits im Wunschalter erreicht hat. Und dann sitze ich da, gegenüber, jemand, der mit 25 nach Japan gegangen ist, der bisher so gut wie gar keinen finanziellen Erfolg hatte und jetzt gerade versucht, nicht wertend diese Situation zu analysieren. Gar nicht mal so einfach…

Aber wenn ich jetzt mit der neuen Perspektive, die ich mir am Aneignen bin, auf die Situation schaue, so sollte ich anders auf die Begegnung heute blicken:

Dieser Mensch geht seinen Weg, auch er hat nicht all seine Ziele erreicht, und auch er hat schon Fehltritte gehabt. Aber was wichtig ist: Dieser Mensch geht seinen Weg mit Bestimmung und passt den Weg jederzeit an, wenn etwas nicht klappt. Und sein Weg ist vielleicht für ihn richtig, aber was erlaube ich mir, mir zu denken, dass das auch mein Weg sein sollte?

Mein Weg geht eben nicht in diese Richtung und das muss er auch gar nicht. Ich merke zwar, dass mir finanzielle Freiheit etwas bedeutet, wenn ich höre, wie sorgenlos man dann lebt, aber andererseits ist das nicht das Leben, das ich führen möchte. Glaube ich zumindest.

Und ich habe in den letzten Jahren vielleicht keinen besonders gut bezahlten Beruf gehabt, keine finanzielle Stabilität erlebt, doch ich habe viel erfahren, was dieser Mensch wahrscheinlich nicht hat. Und ich habe das wahrscheinlich genauso gebraucht, wie es passiert ist. Denn jetzt bin ich hier, erlange Erkenntnis über das Leben und bin in Japan.

Ich habe meiner Meinung nach ziemlich lange gebraucht, endlich ins Machen zu kommen. Viel zu lange habe ich in Berlin meine Zeit damit verbracht, zu grübeln. Über das Leben, über mich und meine Perspektiven und was ich zurückhaben möchte vom Leben. Und von außen betrachtet hat man wahrscheinlich genauso auf mich geguckt, wie ich auf meinen Freund in der Heimat, der nicht ausziehen möchte. Doch ich habe diese Zeit gebraucht, denn wenn mich jemand davor schon aus meiner Misere herausgezogen hätte, hätte ich das vielleicht zugelassen, aber nicht verstanden. Ich musste erst selbst an diesem Punkt in meinem Leben ankommen, einem Tiefpunkt, um zu verstehen, dass ich etwas ändern muss. Und auch wenn man sich von der äußeren Perspektive ein Urteil davon erlauben möchte, und am liebsten einschreiten und helfen möchte, wird man nie verstehen, dass dieser Weg der Richtige für einen war.

Und ja, ich kann trotzdem sagen, ich hätte dies hier früher machen sollen, ich hätte mich anders bei X und Y entscheiden sollen. Das ist gut, das ist die Nachsicht und die ist normal. Man lernt nie aus und passt den Weg an. Doch man sollte nicht sauer auf seine früheren Entscheidungen sein, denn egal was passiert ist, man sollte sich sagen können:

„Ich habe stets zu meinem damaligen Wissen die Entscheidungen getroffen, die ich für am besten hielt“

Und das zu akzeptieren oder zu verstehen, war für mich sehr hart. Als mir das neulich jemand zum ersten Mal gesagt hat, hat mein Herz einen Schlag ausgesetzt. So hatte ich das noch nie gesehen. Stattdessen hatte ich mich immer selbst, meine Mitmenschen und eben auch mein früheres Ich gewertet. Und das meist auch sehr kritisierend. Zu verstehen, dass ich damals keine „falschen“ Entscheidungen getroffen habe, hat mich sehr getroffen.

Na klar, kann man noch darüber reden, ob sie schlecht waren, aber niemand, auch nicht du selbst, kannst sagen, die Entscheidung wäre richtig oder falsch. Denn kein Mensch – nur ein allmächtiger Gott – könnte dir sagen, ob die Entscheidung richtig oder falsch war. Stattdessen guckt man zurück und überlegt sich, was eine gute oder schlechte Entscheidung für einen selbst war. Und dann passt man seinen jetzigen Weg an.

Worauf ich hinaus will, ist, dass es kein vorgefertigtes Leben für dich gibt, zumindest keins von dem du Ahnung hast. Ich glaube zwar an das Schicksal und das alles so passieren wird, wie es soll, aber als Mensch wird man nie von dem Schicksal erfahren, bis es passiert, und man kann natürlich raten, was passieren wird, aber mehr auch nicht. Man ist also nie zu langsam in seiner Karriere, oder zu schnell im Vergessen oder zu kaputt im Leben. All das, was passiert ist, ist passiert, aber genau das musste passieren, damit du hier stehst, wo du jetzt stehst. Und ob das jetzt gut oder schlecht ist, kannst du zwar bewerten, aber ich glaube es wäre besser, wenn du das nicht tun würdest. Genauso solltest du auch nicht andere Menschen und ihre Lebenssituationen bewerten. Denn im Nachhinein kann man immer werten und sagen „ja, das hätte anders verlaufen sollen“, aber man sollte nicht vergessen, dass man diese Dinge erlebt hat und daraus lernt. Warum man Lektionen vom Leben bekommt, anstatt immer zu gewinnen, wird man vielleicht sein ganzes Leben lang nicht verstehen. Doch alleine schon zu verstehen, dass man zu jedem Zeitpunkt sein Bestmögliches gegeben hat, auch wenn man das im Nachhinein nicht denkt, ist in meinen Augen eine erweckende Erkenntnis.

Fazit

Nach einer Nacht schlafen über diesen Artikel kann ich auch mit vollem Selbstbewusstsein sagen:

Ja, ich bin zwar kein erfolgreicher Anwalt, aber ich will auch keiner sein. Ich bin mit meinen letzten Entscheidungen in den letzten Monaten sehr zufrieden und merke, dass ich gerade eine gute Welle reite. Ich lebe das Leben so, dass ich nicht sauer auf mich wäre, wenn mir das Leben sagen würde, dass ich nun gehen muss. Ich gönne jedem sein Glück und genauso gönne ich jedem aber auch die schwierigen Momente, durch die diese Person gerade wahrscheinlich durchmuss. Denn auch wenn man es selbst nicht sieht, gibt es Tunnel im Leben, die man graben muss, ohne Ahnung zu haben, wann man endlich das Licht sieht. Doch solange man einfach nur weitergräbt, wird man früher oder später das Licht sehen. Und manche buddeln vielleicht nur ein paar Wochen und du verstehst nicht warum du oder deine Vertrauten so lange graben müssen, aber vergiss nicht, wie stark du am anderen Ende des Tunnels sein wirst. Und dann erinnere dich bitte zurück an dein Ich, als du zum ersten Mal im Tunnel warst. Du bist immer noch der selbe Mensch, doch du bist unglaublich stark geworden. Und darauf kann man sehr, sehr stolz sein.

Warum es so wichtig ist, die Zeit des Lebens zu schätzen, kannst du hier lesen.